MAZ vom 19.08.2013

Dass der Schuster Friedrich Wilhelm Voigt (1849-1922) ein vom Pech verfolgter Mann war, der auf der Suche nach Arbeit und Brot als Opfer gesellschaftlicher Zustände zum „Hauptmann von Köpenick“ wurde, haben viele im Hinterkopf.

Rangsdorf. „Dass es ihn wirklich gab und er eine Reform der preußischen Justiz auslöste, wissen eigentlich nur wenige“, erklärte Drehbuchautor Hans Münch. Er war mit dabei, als in der Rangsdorfer Kulturscheune das Kabinettstück „Das Schlitzohr von Köpenick“ aufgeführt wurde, das er und Felix Huby geschrieben haben.

Dabei hatten die Besucher ausgesprochen viel Vergnügen mit dem Berliner Schauspieler Jürgen Hilbrecht (70), dem das Ein-Mann-Stück mit seinen 15 Verkleidungen auf den Leib geschrieben wurde. Berliner Gassenhauer und Moritaten komplettierten den nachgezeichneten Lebensweg des Hauptmanns von Köpenick trefflich, auf dem Akkordeon begleitet vom Berliner Musiker Kurt Fritsche. Dass der seit zwei Jahren in Rangsdorf ansässige gebürtige Wiener Hans Münch mit Felix Huby dieses Stück verfasste, erklärt Münch so: „In meiner Köpenicker Zeit wohnte Jürgen Hilbrecht in der Nachbarschaft. Ich habe ihn als Schauspieler beispielsweise beim Otto-Reutter-Abend erlebt, gesehen, wie wunderbar er seine Zuschauer ins Bühnengeschehen einbezieht und da bot sich das Thema Hauptmann von Köpenick einfach an.“ Nun verwandelte sich Jürgen Hilbrecht unter den Augen der Rangsdorfer vor stets gleich bleibender Theaterkulisse mit verschiedenen Kopfbedeckungen und Mänteln in Friedrich Wilhelm Voigt an dessen verschiedenen Lebensstationen.

Wortgewaltig, mimisch überzeugend und liebens- und sehenswert präsentierte er den Jugendlichen, der unter der Knute des tobsüchtigen, trinkenden Vaters stand und bereits mit 14 Jahren seine erste Haftstrafe wegen Diebstahls absitzen musste. Nun galt er als vorbestraft. Auf seinen Wanderjahren als Schustergeselle in Pommern und Brandenburg und auch später machte er mehrmals „lange Finger“ und wurde bei Urkundenfälschung erwischt. Geringe Delikte mit relativ großen Strafen, die dazu führten, dass er keinen Pass bekam und sich nicht niederlassen konnte, wo er wollte.

Jürgen Hilbrecht ließ glaubwürdig „Berliner Milljöh“ und einen rastlosen, gebeutelten Schuster in Rangsdorf entstehen. Als er, wie Voigt 1906, zu seinem großen Coup ausholte, den obrigkeitshörigen, uniformverliebten Deutschen den Spiegel vorhielt, weil er im Hauptmannskostüm das Rathaus und die Stadtkasse von Cöpenick übernahm, freuten sich die Zuschauer mit ihm. Der Schauspieler war mit Hut, Drillichmütze, Pickelhaube oder Hauptmannsmütze überzeugend. Großen Applaus heimsten er und sein musikalischer Begleiter ein. Bevor Hilbrecht pfeilschnell, wie man es ihm kaum zugetraut hätte, mit Requisiten die Scheune verließ, in sein Auto sprang und zum nächsten nächtlichen Auftritt raste. Und anders als der Hauptmann von Köpenick hatte er in Rangsdorf Glück und wurde nicht an der geschlossenen Bahnschranke aufgehalten…

Von Andrea von Fournier