MAZ vom 4. Juni 2013

Warum Kästners Werk 1933 verboten wurde

Kultursommer begann kühl und hoch politisch

RANGSDORF – Dass Erich Kästners Werke bei der Bücherverbrennung der Nazis ins Feuer kamen, kann sich manch ein Leser nicht erklären, wenn er nur Kinderbücher und unverfängliche Texte des Autoren aus dessen Zeit des Schreibverbots kennt. Welch kritischer Geist der stets politische Zeitzeuge war, offenbaren seine Gedichte und Balladen, die der promovierte Journalist und Schriftsteller ab 1927 in Lyrikbänden veröffentlichte. Einige von ihnen wurden am Wochenende bei einer Lesung des Kulturvereins in Rangsdorf vorgestellt. Trotz Kühle und Regen hatten sich erfreulich viele Besucher in der Kulturscheune am Dorfanger eingefunden. „Wir eröffnen heute unseren Kultursommer. Kein Mensch hätte gedacht, dass sich globale Erwärmung so kalt anfühlt“, scherzte Eike Mewes. Hausherr Detlef Schlüpen hatte eine ganze Batterie Wolldecken angeschafft, weil er einen kühlen Sommer befürchtet.

Die beiden sowie Siegfried Fiedler waren die Akteure des Nachmittags, den der Schüler Niclas Krohn musikalisch am Klavier begleitete. Detlef Schlüpen als Moderator las Daten und Lebensstationen Erich Kästners, Siegfried Fiedler und Eike Mewes die Gedichte und Balladen des beliebten deutschen Schriftstellers. Mit einem flotten Reggae, wie er in den 1920er Jahren in Amerika hochmodern war, stieß Niclas Krohn für die Besucher die Tür in die Zeit des jungen Kästners auf. Der hatte aus dem Ersten Weltkrieg seine Lehren gezogen und ahnte als gradliniger Antimilitarist bereits die aufgehende neue Katastrophe. „Kennst du das Land, wo die Kanonen blühn?“, „Wenn wir den Krieg gewonnen hätten“ oder das Gedicht über „Sergeant Waurich“ sind so klug, spitz überzeichnet und treffend, dass es einen noch heute eiskalt über die Haut läuft, weil man weiß, wohin all das Taktieren führte. Bis 1933 brachte Kästner zwei weitere scharfzüngige Lyrikbände heraus. Bei „Auf einer kleinen Bank vor einer großen Bank“ prangert Kästner das Finanzkapital an, das den kleinen Mann mit immer neuen Tricks regelmäßig um seine Ersparnisse prellt. Fast als hielten sie den Atem an, verfolgten die Gäste in der Scheune das Gedicht. „Genau wie heute!“, konstatierte jemand zum Schluss.

Kästner schrieb nach Hitlers Machtantritt kurz unter Pseudonym, brachte unerwartet Triviales wie den „Monolog in der Badewanne“ zu Papier. Er blieb, bis er 1944 ausgebombt wurde, in Berlin. Über Österreich ging er nach München, wo er 1974 starb. Doch seinen Biss hatte er nach 1945 verloren. Wie in „Stimmen aus dem Massengrab“ begegnet dem Leser nun ein verzweifelter, ironischer Autor, der klagt und anklagt und doch zahnlos wirkt.

Eike Mewes und Siegfried Fiedler waren jeder auf seine Weise wunderbare Interpreten Kästnerscher Zeilen: Pointiert, liebenswürdig bis kokett oder sachlich und akzentuiert berührten sie mit den Texten ihre Zuhörer und machten die Lesung zum lehrreichen Genuss. Niclas Krohn beschloss die Veranstaltung mit dem hintersinnigen Titel „Beautiful Dreamer“, die Gäste zollten ausgiebig Applaus.

Am Sonntag, 9. Juni, um 17 Uhr wird in der Kulturscheune am Rangsdorfer Dorfanger der Film „Münchhausen“ mit Hans Albers gezeigt, dessen Drehbuch Erich Kästner unter Pseudonym schrieb. (Von Andrea von Fournier)